Von vollen Brüsten im Bus
Der Bus ist überfüllt. Wie immer um diese Uhrzeit. Ich sitze zusammengequetscht auf einem Sitz (immerhin kann ich sitzen). Träume mich in die warme Badewanne, auf den bequemen Wohnzimmersessel mit Buch oder warum nicht grad in die Ferien. Die Luft ist sauerstoffarm, dafür menschengeschwängert. Ich atme flach.
Irgendwann dringt es zu mir durch. Mein Handy. Es klingelt. Wie lange schon, ich weiss es nicht. Aber ein paar Leute schauen bereits leicht angesäuert zu mir herüber.
Auf dem Display der Name einer Wöchnerin. Vier Tage nach Geburt. Könnte sich um eine Lappalie handeln wie «Wie hiess die Creme nochmals, die du mir empfohlen hast?» oder aber einen akuten, hormonell verstärkten Notfall.
Normalerweise handeln Notfälle immer von den drei B’s.
Baby, Blut, Brüste.
Im Regelfall vor allem letzeres. Und – keine Frage – als Hebamme gebraucht man das Wort Brüste so häufig wie ein Banker womöglich «Schweizerfranken» ausspricht. Es gehört zum Berufsalltag und ist entsprechend geläufig, normal und gänzlich frei von Anrüchtigkeit jeglicher Art. Brüste sind ein Arbeitsinstrument wenn man so will. Doch: Erklär‘ das mal einem Bus voller Menschen zur Rush Hour.
Brüste! Es sind die Brüste. Ein Stillproblem. Leider akut. So akut, dass ich die Wöchnerin am Telefonende nicht vertrösten darf und weiter telefonieren muss.
Ich drehe den Kopf gegen das Fenster und senke die Lautstärke.
Beim Thema Stillen Worte wie Brust, Brustwarze und Pumpe zu vermeiden, ist schwierig. Und obwohl ich mich äusserst diskret verhalte, spüre ich das Publikum in meinem Rücken, welches gebannt meinen Worten lauscht.
Sollte ich bei der nächsten Haltestelle einfach aussteigen? Ich sehe die Regentropfen der Fensterscheibe entlang ziehen und beschliesse: Nein. Zwar hätte ich draussen im Regen etwas weniger Mithörer. Aber umso mehr nass und kalt.
Nach gefühlten Stunden bedankt sich die Frau bei mir, sie werde versuchen, meine Ratschläge umzusetzen. Ich lasse sie wissen, dass sie sich jederzeit wieder bei mir melden darf. Und mit «jederzeit» meine ich jederzeit. Auch wenn ich insgeheim hoffe, dass ich beim nächsten Anruf nicht mehr gerade so viel Publikum habe.